Die Herausforderung bei der Wahrheitssuche im Kindesschutzverfahren: Welche Grundkenntnisse der Aussage­psychologie können in der familienrechtlichen Praxis helfen?

Von: lic. iur. Guido Marbet. Oberrichter, Präsident der 2. Zivilkammer sowie Mitglied der Kammer für Kindes- und Erwachsenenschutz, Präsident der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (KOKES)

Stichwörter: Anhörung, Aussagepsychologie, Elternbeziehung, Glaubhaftigkeitsanalyse, Gefährdungsmeldung, Häusliche Gewalt, Kindeswohl, Kindeswohlgefährdung, Kindesschutz, Kindesschutzbehörde, Kindesschutzverfahren, Meldepflicht, Melderecht, Offizialmaxime, Sexueller Missbrauch, Suggestion, Strafverfahren, Untersuchungsmaxime, Verhaltensauffälligkeiten, Vorsorgliche Massnahmen

Zusammenfassung: Das Kindesschutzverfahren ist geprägt von der Verschiedenartigkeit der Sichtweisen und Interessen und damit auch der entsprechenden Vielfalt der Sachverhalts-Konstellationen. Dabei steht im Zentrum immer der vielbeschworene, oft strapazierte und schwer greifbare Grundsatz des «Kindeswohls», an welchem allein sich der Handlungsbedarf der Kindesschutzbehörde zu orientieren hat. Welche Bedeutung kommt in diesem Kontext der Suche nach der Wahrheit bei der Sachverhaltsfeststellung zu und welche «Wahrheit» ist für den Entscheid zum Eingriff – oder für den Entscheid, nicht einzugreifen – ausschlaggebend?

Mit dem Beitrag wird zunächst der Frage nachgegangen, inwiefern aussagepsychologisches Wissen – z.B. über Suggestionsprozesse, die Aussageentstehung und die Gefahren bei der Deutung kindlicher Verhaltensweisen – beim Entscheidungsprozess und der Glaubhaftigkeitsbeurteilung der Kindesschutzbehörden notwendig sind. Danach wird geprüft, welche Tiefe der Analyse der Entscheidung in der Praxis der Kindesschutzbehörden gegebenenfalls zugrunde zu legen ist.

 

ZKE 4/2019, S. 293 ff.